Über Ghimel Lehmig

 

Im Februar 2016 hatte ich Besuch von einem jungen Mann: Jakob Pock saß auf dem Besprechungs-Sofa meines Büros, er hatte einen Laptop mit, auf dem er mir Bilder und Grafiken für ein Buchprojekt zeigte. Eine Textprobe hatte ich schon vorab per E-Mail bekommen. Nun wollte mir Jakob das Roman-Projekt noch persönlich vorstellen: „Das Galaktische Museum“ solle es heißen. Seinem Autor, Ghimel Lehmig, sei sehr daran gelegen, unerkannt zu bleiben, sagte Jakob eindringlich.

Das Probekapitel, das ich erhalten hatte, war gut zu lesen, das Projekt klang interessant; als Lektor stand mir klar vor Augen, wo man noch textlich Feintuning betreiben konnte, ohne den erfrischendes Duktus der Erzählung zu beeinträchtigen. Dass es ein Geheimnis um den Autor Ghimel Lehmig gab, machte die Sache nur umso spannender. Ich willigte also ein, das Lektorat zu übernehmen. Und gleichzeitig entwickelte ich einen gewissen Ehrgeiz, diesem obskuren Ghimel Lehmig auf die Spur zu kommen. Googeln erbrachte erwartungsgemäß keine Treffer.

Vor Jakobs Eintreffen untersuchte ich das Word-Dokument des Probekapitels. Was viele Leute nicht wissen: In den Dokumenteneigenschaften einer Word-Datei sind Informationen eingeschrieben, die Aufschluss über den Urheber zulassen: Dort steht der Name, den man bei der Installation des Programmes eingibt, und er wird in der Folge bei jedem Dokument angezeigt, das man mit Word anfertigt. Auf diese Weise konnte ich zum Beispiel anno 2012 herausfinden, dass die Formulare, die das Land Steiermark für seine Kulturförderungen online zur Verfügung stellte, vom „Grazer Templer Orden“ angelegt worden sind. Oder von einem Scherzbold, der zu viel Dan Brown gelesen hat.

Auch beim Kapitel des „Galaktischen Museums“, das Jakob mir geschickt hatte, stand ein Autoren-Name in den Dokumenteneigenschaften, und der lautete nicht Ghimel Lehmig. Schlechter Detektiv, der ich bin, prahlte ich Jakob gegenüber mit meiner Entdeckung, wessen Namen ich da vorgefunden hatte.

Einen Tag später landete eine Mail von genau jener Person in meinem Postfach. Ich las:

„Der Autor Ghimel Lehmig ist ein Pseudonym und in Wirklichkeit nur mir persönlich bekannt. Nicht weil der Autor sein Werk leugnet, wählt er diese Strategie. Es geht vielmehr darum, unabhängig zu sein und auch zu bleiben. Seit er in diese Welt geworfen wurde, spürt er das Anderssein. Das ist nicht immer leicht. Sagen wir einfach, die wir damit umgehen: Er hat eine psychische Störung, und ich übernehme die Sachwalterschaft.“

Da hieß es also „zurück an den Start“.

Wer ist Ghimel Lehmig? – Wenn man (was man prinzipiell nie tun soll) aus einem fiktionalen Text Rückschlüsse auf den Charakter seines Urhebers zieht, dann könnten dem geübten Leser beim „Galaktischen Museum“ unter anderem folgende Eigenheiten auffallen:

Zunächst und als erstes – Ghimel dürfte ein sehr sinnlich veranlagter Mensch sein. Essen, Trinken, die körperliche Liebe und körperliche Vorgänge nehmen einen großen Stellenwert im Roman ein. Auch die Freundschaft wird von ihm offensichtlich gepflegt, und der geistige Austausch unter Freunden scheint ihm ebenfalls ein echtes Bedürfnis zu sein. In der treuen und im Grunde wohlwollenden Beziehung der Freunde zueinander kommt ein starkes humanistisches Element zum Vorschein.

Weiters: Sehen, Schmecken und Tasten sind Ghimels bevorzugte Sinneseindrücke, denn diese werden im Roman immer wieder thematisiert. Insbesondere die räumliche Wahrnehmung spielt eine eminente Rolle, wobei die Räume – ich denke an die Beschreibung des Galaktischen Museums im 2. Buch oder von Gufy Dauns Atelier im 3. Buch – oft in die zeitliche Dimension übergreifen und die prozesshafte Komponente des Erzählens miteinbeziehen. Beispiel: Im 2. Buch wird der Gottesdienst der Inouts als wilde Jagd durch einen elektrischen Flipperapparat beschrieben. Das illustriert die von Ghimel beherrschte Durchdringung der Zeit-Raum-Komponente ganz wunderbar.

Weiters: Ghimel Lehmig ist mit einer überbordenden Phantasie ausgestattet, die mit ihrer Wucht die Wand zwischen Fiktion und Realität niederreißt, die Freiheit des Ausdrucks über alles stellt und sich um politische Korrektheit herzlich wenig schert. Bürgerliche Konventionen sind ihm ein Gräuel. Die Mechanismen des gesellschaftlich Akzeptierten scheinen ihm zwar vertraut, aber sicher kein Anliegen zu sein. Er ist damit – wie seine manchmal schrulligen Figuren – auf eine sympathisch unvegane Art rebellisch.

Und schließlich: Ghimel Lehmig beherrscht die Kunst, verschiedene Sprechweisen und Tonlagen zum Klingen zu bringen, indem er die Geschichte des Galaktischen Museums der Figur des Werner (weder verwandt noch verschwägert) Hauptmann in den Mund legt. Jede der von Werner Hauptmann beschriebenen Figuren hat ihre eigene Sprache, ihren eigenen Erzählsound. Und damit komme ich zu einem letzten Gedanken, der mir im Lauf der Beschäftigung mit Ghimel Lehmigs Werk durch den Kopf gegangen ist: Ghimel ist ein schöpferischer Mensch im ureigentlichen Sinn. Wie Gott seinen Adam, den „Erdling“, aus Lehm erschuf und ihm Leben einhauchte, so macht es auch Ghimel mit seinen Figuren: Er haucht ihnen kreativen Odem ein, auf dass sie lieben, lachen und leiden, um sich und ihr Leben zu spüren.

Oder wie Ghimel im Sommer 2016 per E-Mail rückmeldete, als die Arbeit am ersten Buch abgeschlossen war: „Das erste Buch ist perfekt und abgeschlossen. Das Buch atmet frei.“

 

Werner Schandor, Lektor

Graz, im Februar 2017

 

PS: Aus den Ruinen von Gufy Dauns Atelier fiel mir ein Porträt Ghimel Lehmigs in die Hände, das den Lesern hier nicht vorenthalten werden soll. Es dürfte sich um das letzte Werk von Gufys vernetzter Computerinstallation vor ihrem –  im 3. Buch beschriebenem – Meltdown handeln.

 

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Collage: Gernot Pock